Lernen vom Baum – Grenzen des Wachstums

Bäume sind Gedichte,
die die Erde in den Himmel schreibt.
Wir fällen sie und verwandeln sie in Papier,
um unsere Leere darauf auszudrücken

Khalil Gibran

Im Leben eines Baumes gibt es zunächst ein quantitatives Wachstum, das später in ein qualitatives übergeht. Ein junger Baum wird zuerst seine Wurzeln im Boden verankern, um Sicherheit beim Wachsen zu gewinnen – größer und stabiler zu werden ist sein vorrangiges Ziel. Hat er eine gewisse Höhe erreicht, verlegt er sein »unternehmerisches Handeln« auf Qualität. Der Stamm wird dicker und stabiler, die Wurzeln kräftiger und länger, die Krone wächst an Umfang, die Früchte werden mehr. Der Baum wird sich an die Gegebenheiten seines Standortes anpassen und insgesamt nicht größer werden wollen, als Boden, Rohstoffe und sein Ökosystem hergeben.

Unser Unternehmen Erde hat sein quantitatives Wachstum bereits hinter sich. Weiterwachsen geht nicht mehr, Größe und Umfang sind begrenzt. Das Universum ist zwar groß, aber die Standortgegebenheiten unseres Sonnensystems geben mehr nicht her.

In unserer qualitativen Wachstumsphase sind wir in unserem Unternehmen leider nicht so schlau und weise wie der Baum, der es »unternehmerisch« klug versteht, Jahr um Jahr mit seinen Standortressourcen zu haushalten.

Genau genommen klingelt das Universum seit Längerem schon an unserer Tür, um uns »Mahnbriefe« zu überreichen und mit dem Verlust der Unternehmenszulassung zu drohen, wegen Verschwendungssucht und Unfähigkeit. Doch wir tun bislang so, als wären wir nicht zuhause und wollen das Klingeln nicht hören. Stattdessen sprechen wir unbelehrbar weiter unser Mantra »globales Wachstum – om – globales Wachstum – ommm …«

Was, bitte, ist »globales Wachstum«?

Globales Wachstum gibt es nicht, weil unser Planet nicht wachsen kann. Das Einzige, was ständig wächst, sind unsere Ansprüche. Und da wir bislang meinen, diese nur auf die aktuell praktizierte Art und Weise – materiell – befriedigen zu können, steigt der dafür erforderliche Verbrauch an Ressourcen. Ganz einfach. Wenn wir von globalem Wachstum reden, ist das doch wieder nur der verlogene Versuch, uns selbst aus der Verantwortung zu schleichen und sie jemand anderem in die Schuhe zu schieben. In diesem Fall unserem Globus. Unser Planet ist einfach zu klein. Warum kann der nicht vernünftig mit unseren Ansprüchen mitwachsen, verdammt nochmal?

Wohin soll uns das »globale Wachstum« führen?

Zur Glückseligkeit? Das ist, wie Sie sicher gerade bemerken, weniger eine wirtschaftliche oder ökologische denn eine psychologische Frage. Und die kann nur jeder für sich selbst beantworten. Brauchen wir den ganzen materiellen Krempel wirklich, um uns als Mensch geachtet und gewürdigt zu fühlen? Mal ehrlich: Welchen Anteil trägt Ihr Auto zu Ihrem Selbstbewustsein bei? Oder Ihr MacBook, Ihr Smartphone? Ihre Designer-Handtasche (wenn sie denn echt wäre und nicht aus China käme)? Da geht es direkt ans Eingemachte. Vielleicht gehen wir da doch lieber schnell etwas shoppen und gönnen uns was Neues für unser Seelenheil …

Wann und wie soll das »globale Wachstum« enden?

Gemeint ist hier jetzt unser übermäßiger Verbrauch an Ressourcen. Oder konkret: unser Anspruchsdenken. Bei allen Diskussionen und Berichten über globales Wachstum, Ressourcenverbrauch und Overshoot Day kommt oft schnell als Lösung: Weniger Menschen. Ein interessanter Gedanke – als ob weniger Menschen automatisch die Umwelt weniger belasten würden. Kommt vermutlich darauf an, wo sie leben – in Europa, den USA oder in der Zentralafrikanischen Republik, einem der ärmsten Länder der Welt.

Auch macht es einen Unterschied, mit wem wir über das Wachstumsthema diskutieren wollen. Für Einwohner in Entwicklungsländern ist Wachstum mitunter eine Frage des Überlebens, denn viele haben noch gar keines erlebt. Für uns Wohlstandsbürger und für große Firmen ist es mehr eine intellektuelle Frage.

Das Gefährliche ist die oberflächliche und populistische Art, wie wir die Wachstumsfrage in der Öffentlichkeit und in den Medien behandeln. »Weniger Menschen« heisst dann auch schnell »weniger Migranten«. Und immer wieder sind Andere schuld. Oder sie sind das Problem.

Anderes Beispiel: Der »Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft« soll schönfärberisch impliziert auch weniger Ressourcen verbrauchen. Wollen Pflegekräfte, Lehrer und Programmierer keine Autos fahren, gut wohnen und essen und zweimal im Jahr möglichst in den Urlaub fliegen und diesen online buchen? Und verbrauchen wir für die Herstellung von immer mehr Robotern in der Industrie 4.0 keine weiteren wertvollen Ressourcen und Energie?

Wieviel Energie verbraucht der Überwachungswahnsinn des Staatspräsidenten der Volksrepublik China Chi Jin Ping? Und wenn wir das weltweit hochrechnen – das ist ja seine Wunschvision – verbrauchen wir dann am Ende gar mehr Energie und Rohstoffe in der Überwachung und Kontrolle von uns selbst (durch wenige) als für alles Andere?

Wir reden uns gerne die Wirklichkeit schön – und weiter um den heißen Brei herum. Vielleicht erkaufen Sie sich zum Beispiel mit dem Tragen von ›HessNatur‹-Klamotten (ökologisch und fair hergestellt) Ihr grünes Gewissen. Auch wenn Sie das Ihr Leben lang konsequent durchhalten: Wenn Sie sich ein Mal in den Urlaubsflieger nach Thailand setzen, haben Sie Ihren ach so schönen ökologischen Fußabdruck an diesem einen Tag bereits wieder komplett ruiniert. Heute jedenfalls noch. Mag ja mit grünem Wasserstoff besser aussehen.

Wer oder was treibt das »globale Wachstum« an?

Zum einen ist es die Konzentration von Reichtum und Macht auf immer weniger Personen und Konzerne. Die Konzerne erschaffen mit ihren Geschäftsmodellen die heutigen Überflussmärkte, für die sie Produkte entwickeln, mit denen wir Konsumenten uns gegenüber anderen Menschen abgrenzen wollen. Dadurch schaffen wir Verbraucher – Sie und ich – eine Wachstumsdynamik, in der es letzten Endes oft nur noch um Besitz um des Besitzes willen geht. Anders ausgedrückt: Der Nutzen vieler Produkte, die wir kaufen, entsteht nur dadurch, dass wir mit ihnen zeigen können, dass wir sie haben und wir sie deshalb auch nur begehren. Hand auf’s Herz: Wieviel Prozent Ihres Besitzes brauchen Sie (nicht), um gut zu leben?

Wer soll dann bitte das »globale Wachstum« beenden?

Sie ahnen oder fürchten die Antwort sicher schon. Wieder einmal landen wir bei Ihnen und bei mir – als Privatperson oder als Unternehmer. Das bringt Unternehmertum so mit sich. Als Mitunternehmer in unserer UEG tragen wir auch alle die Mitunternehmer-Verantwortung. Nicht nur für unser eigenes Handeln, auch für alle anderen Mitunternehmer.

Wirklich, es gibt leider nur einen einzigen Weg, das vermeintlich nichts mit uns zu tun habende »globale Wachstum« im Sinne von weniger Ressourcenverbrauch und Belastung der Biosphäre nachhaltig in den Griff zu bekommen. Und da ich einst mal Werbung studiert habe, möchte ich es Ihnen hier in wohlklingenden Worten schmackhaft machen:

Zufriedenheit wird unser neuer Wohlstand sein.
Ommmm

Na toll, auch das noch. Und wo kann man die kaufen? Nun, Sie können zahllose Coaches im Internet konsultieren, Seminare besuchen oder Bücher der Weisheitsliteratur wälzen, um eine Antwort für sich zu finden darauf, was für Sie Zufriedenheit bedeutet und wie Sie sie erlangen können. Sie können auch meditieren und Ihr Herz fragen. Was vermutlich der beste Weg wäre. Oder Sie suchen weiter eine Antwort im Außen und gehen wieder shoppen.

Also: Kriegen wir die Kurve und erhalten uns die kosmische Unternehmens– und Existenzzulassung? Gelingt es uns, eine neue »Wirklichkeit der Zufriedenheit« zu erschaffen? Eine Brücke und ein erster Schritt könnte dieses Buch sein, weil es uns als Seelenverwandte etwas näher zusammenrücken lässt. Vielleicht verringert das ein wenig unser Bedürfnis nach Abgrenzung und dem »Ich-bin-was-Besseres-als-du«.

Lassen Sie uns dafür einzelne Bereiche und Aspekte in unserem gewaltigen Unternehmen Erde jetzt etwas genauer ansehen …