Über den Versuch Großbritanniens, aus der Europäischen Union auszusteigen, hat sich die Welt ja nun lange genug mit Verzweiflungstränen in den Augen lustig gemacht. Wie könnten wir das Problem mit mehr Phantasie kreativ lösen? Und zwar nicht im Interesse der beteiligten (Spaß-)Politiker in London und Brüssel, sondern im Interesse der Menschen, die auf der Insel und im übrigen Europa leben. Von den Briten sind ja rund die Hälfte für einen Ausstieg, die andere Hälfte dagegen – mal ein paar Prozentpunkte rauf oder runter, je nach Wetter- und Stimmungslage.
In meinem Buch habe ich die meisten Themen mit der Frage eingeleitet: Wie sähe eine Lösung in unserem Unternehmen–Erde-Bild aus? Es geht mir ja bei den behandelten Themen immer um einen Perspektivwechsel und einen neuen Blick darauf. Lassen Sie uns zum Thema Brexit kurz einen gedanklichen Abstecher nach Paris machen, ins Jahr 1948, um genau zu sein: den 22. November.
[Die im folgenden mit * gekennzeichneten Absätze sind aus dem Manuskript der Sendereihe »RadioWissen« des Bayern2-Hörfunks zitiert bzw. inhaltlich übernommen. Sendung »Das Weltbürgertum – in einer Welt zuhause«, vom 29.11.2018, 9.05 Uhr. Die Sendung können Sie hier nachhören).]
In Paris tagte in ihren frühen Jahren die Vollversammlung der Vereinten Nationen, zu der auch normale Bürger als Zuschauer zugelassen waren. Gary Davis, ein junger Kriegsveteran, sprang plötzlich von seinem Tribünenplatz über die Brüstung und rief: »Ich bin euer erster Bürger!« »Wir haben keine Bürger, nur Staaten«, wurde ihm erwidert. »Doch, ich bin Ihr erster Bürger, weil ich ein Weltbürger bin und das ist internationales Territorium!«*
Garry Davis traf mit seiner Vorstellung von einer Gemeinschaft aller Erdenbewohner einen Nerv. Viele Menschen teilten damals seine Überzeugung, dass in den Nationalstaaten die Wurzel des Krieges stecke. Nur ein Weltbürgerrecht könne die Menschheit vor weiteren Kriegen (Anm.: und ich ergänze: auch Wirtschaftskriegen) bewahren: Der einzelne Bürger solle künftig in erster Linie Weltbürger sein und eben nicht Angehöriger einer bestimmten Nation. Die UNO dagegen, kritisierte Davis, diene nur dazu, nationalstaatliche Egoismen abzugleichen. An der grundsätzlichen Konkurrenz der Staaten rüttle sie jedoch nicht.*
Garry Davis‘ ehrgeiziges Ziel war: In nur 10 Jahren wollte er einen Welt-Bund schaffen, eine Organisation, die für die Rechte und den Schutz aller Menschen der Erde eintritt. Sollte das gelingen, wäre dies in seinen Augen die größte friedliche Revolution in der Geschichte der Menschheit. Damit griff Davis eine Idee auf, die schon Albert Einstein umtrieb. Nach den verheerenden Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki setzte er sich für die Ächtung von Atomwaffen ein. Um ein Wettrüsten der Großmächte zu verhindern, plädierte Einstein für eine übernationale Weltregierung. »Solange es souveräne Nationen gibt, die eine große Macht besitzen, ist Krieg unvermeidlich. Es gibt keine Erlösung für die Zivilisation oder gar die menschliche Rasse, außer der Schaffung einer Weltregierung«, war Einsteins Meinung. * (Zum Unternehmensbereich Krieg habe ich in meinem Buch ein langes Kapitel geschrieben.)
Wie recht Albert doch hatte.
[Wussten Sie, dass Albert Einstein, Jean-Paul Sartre und Albert Camus, der Dalai Lama, Barack Obama und Edward Snowden alle einen Weltbürgerpass besaßen oder besitzen? Bis heute sind es weltweit über eine Million Menschen (Weltbürgerregister). Dieser – auf Wikipedia als »Fantasiedokument« bezeichnete Pass ist zwar kein offiziell gültiges Ausweisdokument, auch wenn es einzelnen Inhabern schon gelungen sein soll, damit in Länder einzureisen, weil er wie ein Reisepass aussieht. Er ist für seine Besitzer vielmehr ein politisches Statement: Der Weltpass stellt für den Inhaber das unveräußerliche Menschenrecht auf Reisefreiheit auf dem Planeten Erde dar. Es beruht daher auf der fundamentalen Einheit der menschlichen Gemeinschaft.«*
Mehr über die Idee des Weltbürgertums erfahren Sie auch auf der deutschen Webseite der »Association of World Citizens« AWC-Deutschland ]
Zurück zum Brexit. Die bühnenreifen Vorstellungen im Britischen Unterhaus zeigen uns doch wieder sehr deutlich, dass sich ab einem gewissen Punkt ein Problem nicht mehr auf derselben Ebene lösen lässt, auf der es entstanden ist. Wir brauchen also eine neue Perspektive und einen frischen Blick darauf. Und da ich in meinem Buch »einen neuen Blick auf alles« werfe, lassen Sie uns das auch mal beim Brexit versuchen. Wie wäre es denn mit dieser Wünsch-Dir-was-Version:
Wenn sich die Politiker auf beiden Seiten des Ärmelkanals nicht einigen können, dann lassen wir doch die Briten in einem zweiten Referendum jeden Bürger für sich selbst entscheiden, ob er künftig als Europäer oder »Brexiter« weiterleben möchte. Die einen genießen weiterhin alle Vorzüge der EU-Mitgliedschaft (als Arbeitnehmer, Reisender und Konsument und Wahlberechtigter), die anderen pflegen künftig ihre Freiheit als Exklusiv-Brite, mit allen Konsequenzen eines ungeregelten Brexit. Damit entfallen auch die Diskussionen und geografischen Probleme einer EU-Außengrenzregelung zwischen England, Irland und Schottland. Und alle Firmen und Banken in Großbritannien und der EU entscheiden auch jeder für sich unternehmerisch, wie sie weiter wirtschaften wollen. Wie das britische Parlament dann mit dieser neuen »doppelten Individualbürger-/Firmen-EU-Mitgliedschaft« zurechtkommt, kann uns eigentlich egal sein, weil die Parlamentarier seit der Austrittsankündigung sich sowieso auf nichts mehr einigen können.
Die individuelle Berechnung und Umsetzung von Waren- und Verkaufspreisen, studentischem EU-Stipendien und BaföG, von Einfuhr-, Ausfuhrzöllen, Umsatzsteuer und EU-Beiträgen wird sicher zu Anfang ziemlich chaotisch und unübersichtlich. Aber das wird sich einpendeln. Wir Deutschen schaffen es doch irgendwie schon unser ganzes Leben, in unserem Steuerparagrafendschungel zu überleben. Wir sind ja nicht nur Export-, sondern vermutlich auch Bürokratieweltmeister und können der EU und den Briten zeigen, wie man das schafft.
Und wenn dann mit der Zeit jeder Bürger, Politiker und Verwaltungsbeamte seine persönlichen Erfahrungen mit dieser neuen Situation gewonnen hat, kommt vielleicht endlich jemandem die Erkenntnis, dass das zwanghafte Festhalten an nationalstaatlichen Interessen nicht in jedem Fall die beste Lösung für unsere Zukunftsprobleme darstellt. Und meine Individuallösungs/Wünsch-Dir-was-Variante noch weniger. Aber ich finde, es hilft manchmal ungemein, durch einen Ausflug nach Absurdistan den Kopf wieder mit mehr Vernunft und Einsicht zu füllen. Schließlich brauchen wir mehr Gemeinsamkeit und Kooperation als neues Eigenbrödlertum und neue Konflikte.
Also sollten wir alle noch einmal tief Luft holen und uns wieder auf das Wesentliche im Leben besinnen. Dann wird hoffentlich auch den Briten wieder bewusst, welchen Wert die Europäische Union und später vielleicht sogar eine Welt-Union für unser friedliches und Gemeinwohl-orientiertes Zusammenleben heute schon hat. Und künftig erst recht.
Es gibt noch zwei Argumente, die dafür sprechen, das Brexit-Theater schnellstens zu beenden:
- Wir sollten unsere volle Aufmerksamkeit und Tatkraft endlich dem einzig wirklich wichtigen Thema widmen: der Veränderung unseres Klimas, mit allen Folgen, die daraus erwachsen. Der Brexit ist dagegen ein vollkommen unwichtiger Nebenschauplatz der Geschichte. (Das gilt übrigens für alle »Neben-Kriegsschauplätze« und »Halbstarken-Rangeleien« auf der Welt).
- Der Klimawandel ist damit vielleicht sogar das schlagendste Argument für einen Verbleib in der Europäischen Union: Als EU-Mitglied ist es für die Briten wesentlich einfacher mitzuentscheiden, welche Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise in unseren Breitengraden getroffen werden müssen. Und sollte die Notwendigkeit entstehen, sich bei Bedarf räumlich in der EU zu bewegen.
Global betrachtet gibt es dafür allerdings nur ein Podium für das Thema: die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Was meinen Sie?
Wenn Sie sich das Unternehmen Erde und meine Vision dazu genauer ansehen wollen, dann lesen Sie mein Buch. Haben Sie schon einen Blick hinein geworfen?