Was ist die entscheidende Herausforderung, vor der wir als Weltgemeinschaft – als Gesamtunternehmerschaft stehen? Quasi der Kern all unserer Probleme auf der Welt. Gibt es den?
Einerseits schreibe ich in meinem Buch, dass »alles mit allem zusammenhängt« und wir kaum ein Thema losgelöst von allen anderen betrachten können. Bis vor wenigen Wochen galt noch die »Klimakrise« als unser Kernproblem. Der Klimawandel zeigt zweifellos dramatische Entwicklungen, die wir mit allen vereinten Kräften abwenden müssen, aber er ist »nur« eines von vielen Symptomen eines vielschichtigen Krankheitsbildes, um es mal medizinisch auszudrücken.
Aktuell wird es überlagert von einem noch schwerwiegenderem »Krankheitsbild« – das zur Abwechslung mal nicht unseren Planeten plagt sondern seine Plagegeister selbst. Uns Menschen. Die Natur zeigt uns mal wieder, wo die Latte hängt. Wir reden seit Jahren nur – die Natur handelt. Lässt einen kleinen Geist aus der Virus-Flasche und bringt die globale Wirtschaft weitgehend zum Stillstand. Für jeden abgeholzten Baum in Brasilien ein Menschenleben, könnte man zynisch sagen.
Aber die Natur, unser Planet, ist nicht zynisch. Er meint es noch immer gut mit uns. Schickt uns nicht nur den Virus sondern gleich auch noch die grundlegende Therapie zur Heilung: Ruhe, innere Einkehr, Pause machen, Nachdenken über unseren Lebensstil im großen wie im kleinen und Rückbesinnung auf das Wesentliche im Leben und unser Zusammenleben und -arbeiten auf der Welt.
Natürlich wird es uns gelingen, Wege und Mittel zu finden, diesen Virus medizinisch zu besiegen. Aber letztlich arbeiten wir weiter auf Symptom-Ebene. Vordergründig wird es uns – dem Weltklima – nach Corona wieder besser gehen. Aber die uns allen zugrunde liegende »Krankheit« haben wir damit noch nicht geheilt.
Wir können erfolgreich auf erneuerbare Energien und Elektromobilität setzen, aber die »Krankheit Naturzerstörung durch Ressourcenabbau« wütet weiter. Und die CO2-Belastung der Atmosphäre verringert das auch kaum, wenn überhaupt.
Wir können in allen Ländern die »Krankheit Plastikverpackungen« durch strikte Verbote ausmerzen, aber zu einer cradle to cradle1 Kreislaufwirtschaft führt uns das noch nicht. Und auch unser Ess- und Konsumverhalten haben wir damit noch nicht verändert.
Wir können mit diplomatischem Geschick, dem Einsatz von UN-Friedenstruppen oder halt mit militärischem Einsatz von Bomben auch die letzte Hochburg des IS in Syrien zurückerobern, aber damit ist nicht die »Krankheit IS« aus der Welt.
Wir können vernünftigere Politiker wählen, die keinen neuen Nahost-Konflikt schüren oder gar die Gefahr eines 3. Weltkrieges, aber die »Krankheit Krieg« haben wir damit noch noch geheilt.
Wir können vielleicht mehr Erfolg bei der Aufklärung von Verbrechen aus terroristischen und extremistischen Motiven erreichen und mehr Täter vor Gericht bringen und verurteilen, aber das kranke Gedankengut lebt weiter in den Köpfen der Täter und Mitläufer.
Wir doktern an Symptomen herum, aber wir behandeln und heilen die eigentliche Krankheit nicht
Was ist nun die »eigentliche« Krankheit, die unsere UEG plagt? Nun bin ich kein Betriebsarzt, geschweige denn überhaupt einer, aber wenn ich hier eine zarte Diagnose formulieren darf, dann wäre das diese:
Alle Krankheitsbilder und ihre sichtbaren Auswirkungen liegen ursächlich in unserem Kopf. Neurowissenschaftler können den Ort möglicherweise genauer benennen. An diesem Ort verbinden sich Bildung, also Wissen, entstehen Erfahrung, Mitgefühl, Respekt und Vernunft – die menschliche und die unternehmerische – und formen unsere Handlungsentscheidungen und letztlich Taten. Folglich entsteht das »Kern-Krankheitsbild« aus dem, was wir unseren Kindern und Jugendlichen als Bildung anbieten, sowie aus der Art und Weise, wie wir ihnen Bildung und das Wissen und Verständnis über unsere Welt vermitteln.
Es ist unser Verhalten als Eltern, Lehrer, Gesellschaft gegenüber unserer nachfolgenden Generation und im weiteren Erwachsenen- und Berufsleben, in der Wirtschaft und der Politik unser genereller Umgang untereinander, was dieses Krankheitsbild nährt. Der »menschliche Faktor«. Und da es uns so schwer fällt, uns mit den Ursachen auseinanderzusetzen, doktern wir nach dem Prinzip »mehr desselben« halt an den Symptomen herum und scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Das Prinzip kann jeder für sich erkennen, der sich bereits durch mehrere Diäten gequält hat oder andere Laster loswerden wollte, anstatt mal seinen Lebensstil genauer zu betrachten und vielleicht dort die Ursache zu finden. (Ausnahmen bleiben bestehen, natürlich).
Im Kern ist dann vielleicht wirklich unser Grundproblem der über die Jahrhunderte immer mehr verloren gegangene Respekt dem Anderen gegenüber, das Nicht-mehr-Interesse-haben an seinen Bedürfnissen und in Folge das egoistische darüber Hinweggehen und Missachten für den eigenen Vorteil. Und das beginnt wieder einmal im Kleinen bei jedem von uns, bei fehlender Rücksichtnahme zu dem uns gerade Nächsten, zeigt sich vehement in unserer Ellenbogengesellschaft und in der der Wirtschaft und endet im machtpolitischen Gebaren unserer Politiker und deren Vorgänger und Vorläufer.
Viele kleine Schritte, die jeder für sich nicht schmerzlich spürbar gewesen sein mögen, aber heute rückblickend ein paar zu viel waren.
So gesehen ist die Veränderung unseres Klimas eine Wiederholung dieser Entwicklung. Ein Faktor, der sich verändert, schafft noch kein Problem. Ist es im Sommer heiß, sinkt die Produktivität einer Gesellschaft. Na gut. Mehr Hitze führt auch zu mehr Trockenheit und Ernteausfällen. Ist logisch. Eine geringere Getreideernte führt zu Rohstoffverknappung und teurerem Brot. Die paar Cent, egal. Eine Ölkrise lässt die Benzinpreise steigen. Autofahren ist eh teuer. Höhere Temperaturen lassen auch den Aggressionslevel steigen. Jetzt reicht’s aber!
Jedes für sich alleine kann eine gesunde Volkswirt und Gesellschaft schadlos überstehen. Kommen mehrere Faktoren zusammen, und über mehrere Jahre, sieht die Sache schnell anders aus. Arbeitslosigkeit kommt dazu, politischer Unmut, Bürgerproteste, zum Schluss noch fehlendes Klopapier… Hängt das Wohl und Wehe unserer Gesellschaft wirklich an einer perforierten Papierrolle?
Wäret den Anfängen oder einmal global Innehalten
Dieser Weckruf kommt spät, aber vielleicht noch gerade rechtzeitig. In einer früheren Fassung meines Buchendes hatte ich einmal diesen Vorschlag formuliert, der eher ein Visions-Wunsch ist: Ein globales Innehalten.
Für eine 5-Tage Arbeitswoche fahren wir global einmal die gesamte Wirtschaft runter und schalten alle Maschinen aus. Wir machen eine Pause auf allen Baustellen und holen die LKW-Fahrer von den trostlosen Parkplätzen. Wir schließen bei uns den Bundestag und in allen anderen Abteilungen die entsprechenden Einrichtungen, alle Ämter und Behörden, auch die Börsen. Wir schließen die Läden (bis auf die für die Lebensmittelversorgung notwendigen), lassen alle Internetbestellungen im Lager oder den Zustellwagen der Bringdienste liegen – und bestellen in diesen Tagen auch nichts Neues im Internet! Wir legen eine globale Waffen- und Kriegspause ein und reduzieren alles auf das Notwendigste. Wir schalten für die Tage auch mal unsere Handys aus und das Fernsehen auf Standby. Keine Tagesschau, keine Krimis, keine Talkshows, keine Werbung Wir fragen auch nicht »für Risiken und Nebenwirkungen unseren Arzt oder Apotheker«. Unsere Autos bleiben stehen, weil ja niemand verreist oder zur Arbeit muss, die Flugzeuge bleiben am Boden und die Schiffe weitgehend im Hafen.
Wir verzichten auf fünf Tage Gehalt wie auch die Vermieter auf fünf Tage Miete und die Gläubiger auf fünf Tage Zinsen.
Stattdessen stellen wir Tische und Stühle auf die Straßen, wie wir das auch bei Nachbarschafts- und großen Straßenfesten gerne machen, und genießen gemeinsam einfach die freie Zeit. Und reden miteinander darüber, was uns missfällt, was wir gerne tun (würden) und was wir uns wünschen.
Für unser Klima, für die Fischbestände und die Tierwelt und Natur überhaupt wäre das auch mal eine Erholungspause.
Und wenn wir dann die Woche darauf wieder anfangen ins Büro und in die Betriebsstätten zu gehen nehmen wir die Erfahrung aus den fünf Tagen mit und fühlen einmal – und diskutieren im besten Fall weiter mit Kollegen, Chefs und Betriebsräten – was wir künftig anders machen könnten, sollten und wollen.
Gäbe es einen »Smile-and-Relax-Index«, dann, möchte ich wetten, dass der bis zum Montag einige Punkte nach oben klettert. Und die Menschen, die in diesen Tagen nicht entspannen und abschalten können, erfahren für sich, dass sie zuvor über dem Limit gelebt und gearbeitet haben.
Nun wissen wir alle, dass uns solch eine unternehmensweite Betriebsfeier heute noch nicht gelingen wird, wegen all der ach so gewichtigen Argumente, die jedermann dagegen vorbringen könnte…
…An dieser Stelle der Vision hat die Natur den Virus-Geist aus der Flasche gelassen und uns gezeigt, dass wir diese Auszeit doch nehmen können – müssen. Nur leider nicht in fröhlicher Geselligkeit, vielmehr jeder für sich alleine zuhause im stillen Kämmerlein. Jeder von uns kann/konnte sich diese auferlegte Zwangspause dafür nutzen, in seiner Phantasie auszumalen und in Gedanken zu durchleben wie wie er/sie sich unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben auf der Welt in Zukunft wünscht. Das ist doch ein erster Schritt.
Meinen ersten Schritt bin ich in den letzten Jahren mit dem Schreiben dieses Buches gegangen. Treten Sie jetzt ein in meine gedanklichen Fußstapfen. Vielleicht gefällt auch Ihnen der vorgeschlagene Weg.
Herzlichst
Nikolaus Dahl
1 Mit »Craddle2Craddle« – von der Wiege bis zur Wiege – bezeichnet der deutsche Verfahrenstechniker und Chemiker Michael Braungart eine Kreislaufwirtschaft, bei der Produkte so entwickelt werden, dass alle verwendeten Rohstoffe wieder zurückgewonnen und für neue Produkte als vollwertiger Rohstoff verwendet werden können. Das Konzept entwickelte er 2002 zusammen mit dem US-amerikanischen Architekten William McDonough.
Kleiner Tip an die Bundesregierung an dieser Stelle: Wenn Deutschland schon die Elektromobilität verpennt hat und die Solarindustrie ab- statt ausgebaut, sollten wir in diesem Bereich Vorreiter und Weltmarktführer werden. Würde Deutschland gut anstehen.